Ein mehrstimmiger Heldenmonolog – von Omar Abi Azar
Hussein. Zurück aus der Schlacht, neugeboren – sein Drama ist vorbei. Beim morgendlichen Kaffee verflucht er, der Verfluchte, Hegel und die selbsternannten Propheten. Draußen, in der Stadt, bei jedem Wetter: der Tod. Das Ich explodiert ins Nichts, das banale Paradies gähnt ihn an. Die Sphinx hat ihre Antwort, und uns fliegen die Trümmer der Geschichte um die Ohren.
Wo bleibt die ganze Bedeutung.
Die Bedeutung des Glücks.
Die Bedeutung des Todes.
Die Bedeutung der Bananenfelder.
Die Bedeutung des Buches.
Die Bedeutung des Bartes.
Die Bedeutung der Zeit.
Die Bedeutung des Handelns. Unsere irreversible Illusion.
»Hegel really fucked us up.« (Omar Abi Azar)
Der Name Hussein hat im Arabischen zwei Arten der Aussprache – das U betonend oder das U verschleifend. Die erste Art der Aussprache meint den ersten schiitischen Märtyrer, der in der Schlacht von Kerbala den Tod der Allianz mit denen vorzog, die in seinen Augen die Muslime geteilt und gegeneinander aufgebracht hatten. Im weitesten Sinne liegt hier, in den größten Krisenzeiten seit dem Tod Mohammads, der Grund für die Spaltung des Islam in Sunni und Shia Strömungen. Noch heute schlagen sich, zum Beispiel im südlichen Libanon, gläubige Schiiten zum jährlichen im Oktober stattfindenden Ashura-Fest blutig, weil »sie« Hussein damals die Hilfe verwehrten. Gleichzeitig muß man die Frage stellen, welche anderen Gründe auch in den Kolonialzeiten dafür liegen, daß dort heute die Organisation in quasi-religiösen Gruppen die Organisation des gemeinsamen Lebens, wie Elektrizität und Trinkwasser, an Wichtigkeit übersteigt.
Die zweite Art der Aussprache meint den normalen Vornamen.
In dem Namen Hussein trifft also die mythologische Figur mit ihrer tonnenschweren Geschichtlichkeit auf den modernen Jedermann, wie auch den Autor des Textes, Omar Abi Azar und den Schauspieler Junaid Sarieddeen. Sie wollen nicht, müssen sich aber mit dem mythologischen Namensgeber auseinandersetzen, weil dessen heutige Nachahmer in seinem Alltag, in seiner Stadt den Tod zur allgegenwärtigen Möglichkeit machen. Auch während unserer Proben vor Ort. Die Idee, für eine Idee so brennend zu leben, daß man dafür sterben will, ist auch für sie so fremd wie für uns in Berlin, und es gibt wenig Ansatzpunkte für ein Gespräch darüber mit den Betroffenen. Wenn der Tod anderer vermeintlich etwas verbessert, seien es die Chancen aufs Paradies oder der Status Quo den der/die Handelnde gewaltsam verläßt, versagen die Argumente. Im Moment der Entscheidung dafür kippt die Bedeutung des Seins ins Nichts. Unter diesem Aspekt müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, daß wir in den letzten Jahren alle vorstellbaren und unvorstellbaren Greuel getan und gesehen haben und das jetzt, statt zu rebellieren, in Ablehnung und Nationalismus gähren lassen. Der Tod ist leicht geworden und alltäglich, denn er ist auf allen Kanälen zu sehen, er hat sein Geheimnis verloren. Dadurch, kurz gesagt, zählt der/die Einzelne immer mehr als eine/r einer Gruppe Zugehöriger, sei es Shia, Sunni oder NATO. Der Wert des Todes interessiert uns also, die Möglichkeit einer heutigen Spiritualität und die Individualität in diesem mythologischen Chaos, das uns eingeholt hat.
Auf Arabisch, Französisch und Deutsch.
Eine Produktion von suite42 (Berlin) und zoukak (Beirut) in Kooperation mit dem Ballhaus Ost. Gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten.
Pressestimmen:
»Jugend ohne Gott« (von Susanne Lenz, Berliner-Zeitung, 11/2014)
»Fremdheit und Vertrauen« (von Tom Mustroph, taz, 11/2014)
»Hussein – ein Heldenmonolog« (von Stefan Bock, der Freitag, 11/2014)
»Wir ficken, wie wir sterben« (von Laura Pannasch, zenith, 11/2014)
Die Zusammenarbeit von suite42 und zoukak begann 2010, als Maya Zbib und Lydia Ziemke sich als erste Stipendiaten ihrer Länder Libanon und Deutschland für das British Council Programm »Cultural Leadership International 2010« trafen. Seitdem herrscht reger Austausch in Form von Produktionen, Workshops und in Diskussionen.
Zoukak (= »kleine Straße«) wurde 2006 von sechs Theaterschaffenden in Beirut gegründet, um eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit ihren gesellschaftlichen und politischen Themen zu gewährleisten, aber auch einfach als Struktur für die eigene Entwicklung der Theaterkünstler. Neben klein- und großformatigen Produktionen arbeiten sie wegen der weitergehenden Konflikte viel in Schulen und Flüchtlingslagern. Außerdem kreieren sie öffentliche Interventionen und laden im Programm »Sidewalks« internationale Partner zu sich nach Beirut ein.
(suite42 bringt internationale Theater- und andere Künstler für Theaterprojekte zusammen, die sich mit geschichtlichen Knotenpunkten, drastischen menschlichen und gesellschaftlichen Unmöglichkeiten und besonders mit den Auswirkungen von Krieg, Gewalt und Migration auf Einzelne befassen. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der Bühnenpräsentation, es wird auch immer ein Kontext aus akademischen und anderen künstlerischen Quellen geschaffen.)
Dies ist die erste Koproduktion, sie wurde in Beirut und Berlin erarbeitet.
Autor: Omar Abi Azar / Regie: Lydia Ziemke / Spiel: Junaid Sarieddeen, Lucie Zelger, Vincent Falk, Peter Simlinger / Live-Musik: Houwaida Goulli / Bühne & Kostüme: Claire Schirck / Dramaturgische Mitarbeit: Elke Ranzinger / Assistenz: Marie Golüke / Bühnenassistenz: Lena Heeschen / Übertitelberatung: David Maß / Übertitelhandhabung: Yazan Farhat
Im Anschluss Diskussion in Anwesenheit des Autors.